Du bist nicht du, wenn du hungrig bist: Warum werden wir „hangry“?

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Kennst du das Gefühl? Der Magen knurrt, die Laune sinkt und plötzlich wird jede Kleinigkeit zum Ärgernis. Dieses Phänomen, reizbar oder wütend zu sein, weil man hungrig ist, hat sogar einen eigenen Namen: „hangry“. In diesem Beitrag erfährst du, warum wir manchmal hangry werden.

Die Werbeslogans „Du bist nicht du, wenn du hungrig bist“ und „Immer, wenn du Hunger hast, wirst du zur Diva“ haben sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt und beschreiben ein Gefühl, das viele kennen: „hangry“ sein. Diese Kombination aus „hungry“ (hungrig) und „angry“ (wütend) hat es sogar ins Oxford Dictionary geschafft, wo sie als schlechte Laune oder Gereiztheit infolge von Hunger definiert wird. Hunger meint in diesem Kontext den physiologischen Zustand des Nährstoffmangels infolge einer geringen Nahrungsaufnahme. Dieser Zustand ist zu unterscheiden von psychologischen Phänomenen wie Heißhunger oder Appetit.

Doch warum werden wir hangry? Die Theorie des psychologischen Konstruktivismus bietet eine plausible Erklärung (Barrett & Russell, 2015). Demnach passieren Emotionen nicht einfach so, sondern unser Gehirn „baut“ sie aus zwei Elementen zusammen: einem körperlichen Gefühl und einer Interpretation dieses Gefühls, basierend auf dem, was um uns herum geschieht.

Hangry werden wir demnach, wenn unser Gehirn die unangenehmen körperlichen Signale des Hungers fälschlicherweise äußeren Umständen zuschreibt. Wenn wir uns in einer Situation ärgern und gleichzeitig körperliche Symptome wie Unwohlsein verspüren, können wir diese Symptome als weitere Ausdrucksformen unseres Ärgers interpretieren, anstatt den Hunger als ihre tatsächliche Ursache zu erkennen. Dies kann unseren Ärger noch weiter verstärken.

Zwei Forscherinnen haben diese Annahmen in einer komplexen Laborstudie überprüft (MacCormack & Lindquist, 2019). Sie teilten 236 Versuchspersonen in zwei Gruppen auf: eine „hungrige“ Gruppe, die mindestens fünf Stunden vor dem Experiment fastete, und eine „satte“ Gruppe, die kurz vorher eine volle Mahlzeit aß. Zu Beginn des Experiments sollten manche Teilnehmende über Emotionen schreiben, um ihre Aufmerksamkeit gezielt auf Gefühle zu lenken. Andere Teilnehmende sollten über ein neutrales Thema schreiben, ohne sich explizit mit Gefühlen auseinanderzusetzen.

Im nächsten Schritt wurde für alle Teilnehmenden eine frustrierende Situation geschaffen: Während einer langweiligen Computeraufgabe stürzte das Programm absichtlich ab. Die Versuchsleitung kam herein, wirkte verärgert, gab den Teilnehmenden die Schuld daran und erklärte, dass die gesamte Aufgabe wiederholt werden müsste. Im Anschluss füllten die Teilnehmenden Fragebögen über ihre aktuellen Gefühle und darüber, wie sie die Versuchsleitung bewerten, aus.

Die entscheidenden Ergebnisse: Nur die hungrigen Teilnehmenden, die zuvor nicht über Emotionen nachgedacht hatten (also die neutrale Schreibgruppe), berichteten über deutlich stärkere negative, hochenergetische Gefühle wie Stress, Ärger und Verachtung und bewerteten die Versuchsleitung als urteilender. Hatten hungrige Teilnehmende durch die Schreibaufgabe ihre Aufmerksamkeit jedoch bewusst auf Emotionen gerichtet, waren ihre negativen Gefühle gleich zu jenen der satten Versuchspersonen.

Hangry wird man also, wenn man die unangenehmen körperlichen Empfindungen des Hungers als Ausdruck negativer Emotionen interpretiert. Dies ist insbesondere in frustrierenden Situationen der Fall, die Anlass für solche Emotionen bieten. Entscheidend ist jedoch die mangelnde Aufmerksamkeit auf die eigenen Gefühle. Wenn wir nicht aktiv darüber nachdenken, was in uns vorgeht, „missversteht“ unser Gehirn die körperlichen Signale des Hungers als schlechte Laune. Sobald wir jedoch aktiv über Emotionen nachdenken, wird dieser automatische Prozess unterbrochen und wir können unsere Gefühle besser regulieren.

Was könnte also helfen, um nicht hangry zu werden? Wenn du merkst, dass du schlecht gelaunt wirst, halte kurz inne. Die Erkenntnis „Ich fühle mich gerade so, weil ich hungrig bin“ kann schon ausreichen, um zu verhindern, dass du deine schlechte Laune an deiner Umgebung auslässt. Und zur Not hilft auch ein kleiner Snack wie der berühmte Schokoriegel oder besser noch eine gesündere Alternative wie ein Stück Obst oder ein paar Nüsse, um den Hunger zu stillen und die Laune zu verbessern.

Literaturverzeichnis

Barrett, L. F., & Russell, J. A. (2014). The psychological construction of emotion. Guilford Press.

MacCormack, J. K., & Lindquist, K. A. (2019). Feeling hangry? When hunger is conceptualized as emotion. Emotion, 19(2), 301–319. https://doi.org/10.1037/emo0000422

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