Kämpfen oder Verhandeln? Diese zwei Ansätze für die Lösung von Konflikten sind in der Menschheitsgeschichte eng miteinander verbunden. Denn Verhandlungen tragen, wenn sie scheitern, nicht selten zum Beginn gewaltsamer Konflikte bei. Zudem folgen Verhandlungen auch häufig auf gewaltsame Auseinandersetzungen und können – wenn erfolgreich – Frieden zwischen den Beteiligten herstellen. Es gibt viele mögliche Ursachen, warum Verhandlungen scheitern. In diesem Beitrag diskutieren wir zwei bisher weniger beachtete davon und skizzieren Lösungsansätze dafür.

Konflikte bestehen immer dann, wenn mehrere Parteien zusammentreffen und das, was die eine Partei möchte oder vertritt, im Gegensatz zu den Wünschen oder Positionen der anderen Partei steht. Die Menschheitsgeschichte ist reich an Konflikten um beispielsweise Territorien, Rohstoffe oder Weltanschauungen. Immer wieder wurden und werden Konflikte zwischen Individuen oder Gruppen auf der Basis von Gewalt und Macht ausgetragen. Der Einsatz von Macht in Form von militärischer oder ökonomischer Stärke stellt allerdings nur einen möglichen Weg dar, um Konflikte zu lösen (Ury, Brett & Goldberg,1988). Ein zweiter Weg bezieht sich auf den Einsatz von Recht, dessen Umsetzung von öffentlichen Exekutiv-Institutionen gewährleistet wird. In internationalen Friedenskontexten lässt sich dieser Weg allerdings nur begrenzt einsetzen. Dies
liegt daran, dass die relevanten Institutionen (zum Beispiel der Internationale Gerichtshof in Den Haag oder der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen) häufig zu schwach oder uneinig sind, um Recht gegen etwaigen Widerstand durchzusetzen. Ein dritter Weg Konflikte zu lösen, besteht in Verhandlungen. Da dieser Weg die
Interessen und Prioritäten der Akteure in den Mittelpunkt stellt, ist es über ihn - im Gegensatz zu den anderen beiden Wegen - in der Regel möglich, „den Kuchen größer zu machen“. Ein größerer Kuchen bedeutet mehr Wert, der unten den Parteien verteilt werden kann (wie man in Verhandlungen Wert schafft, haben im In-Mind Magazin z. B. Warsitzka, Ade & Trötschel, 2018, umfassender beschrieben).
Das distributive
Mindset: Keine gute Grundlage für Verhandlungen
Allgemein beschreiben Mindsets die psychologische Orientierung von Menschen, d. h. sie umfassen ihre für Handlungen relevanten kognitiven, emotionalen und motivationalen Prozesse (Rucker & Galinsky, 2016). Vereinfacht ausgedrückt lässt sich somit festhalten, dass das Mindsets einer Person etwas darüber aussagt, was diese Person hinsichtlich eines bestimmten Themas denkt, fühlt, und wozu sie bereit ist. Verhandlungs-Mindsets im Besonderen lassen sich als psychologische Orientierungen verstehen, mit der Menschen auf Verhandlungssituationen und ihre Verhandlungspartner zugehen (Ade, Schuster, Harinck & Trötschel, 2018). Erste Laborstudien Studien zeigen deutlich, dass sich Verhandlungs-Mindsets auf die Ergebnisse von Verhandlungen auswirken (u. a. Trötschel, Hüffmeier, Loschelder, Schwartz & Gollwitzer, 2011). Es lässt sich annehmen, dass sowohl die
Persönlichkeit eines Menschen (Dweck, 2006) als auch die Situation, in der er sich befindet befindet (z. B. Trötschel & Kollegen, 2011), das Entstehen unterschiedlicher Mindsets in ihm begünstigen. Forschungsergebnisse legen zudem nahe, dass sich Mindsets aktiv an- und abtrainieren lassen (Okonofua, Paunesku & Walton, 2016; Paunesku, Walton, Romero, Smith & Yeager, 2015).
Wir glauben, dass sich das Scheitern und der Erfolg von Verhandlungen besonders durch zwei Mindsets erklären lassen: das distributive und das integrative. Personen mit einem distributiven
Mindset gehen an Verhandlungen so heran, als handele es sich dabei um Verteilungskämpfe (Ade und Kollegen, 2018). Konkret bedeutet dies, dass sie etwa davon ausgehen, dass jedem Nutzen für eine Partei stets Kosten in gleicher Höhe für die andere Partei gegenüberstehen (siehe z. B. Thompson & Hastie, 1990). Je mehr eine Partei vom Kuchen bekommt – so verleitet ein distributives
Mindset zu glauben – desto weniger Kuchen bleibt für die anderen übrig. Menschen mit einem distributiven
Mindset neigen im Weiteren dazu in Verhandlungen auf Positionen zu fokussieren anstatt auf
Interessen und Prioritäten. Dies bedeutet, dass sie nur auf das eingehen, was ihr Gegenüber sagt und sich kaum oder gar nicht damit beschäftigen, welche Bedürfnisse, Hoffnungen und Maßstäbe diesen Äußerungen zu Grunde liegen. Zudem teilen Menschen mit einem distributivem
Mindset ihre Gegenüber schnell in polarisierte Kategorien wie „Freunde“ oder „Feinde“ ein. Sie misstrauen anderen häufig und sind auch nur begrenzt dazu bereit, sich selber vertrauenswürdig zu verhalten. Beim Verhandeln
empfinden sie rasch
Angst oder Angriffslust. Auf
Angst reagieren sie dabei tendenziell mit dem Versuch, die
Verhandlung schnell zu beenden oder ganz zu vermeiden („Flucht“). Angriffslust bringt sie hingegen dazu, sich kompetitiv zu verhalten („Kampf“). Es lässt sich annehmen, dass das distributive
Mindset Verhandelnde somit häufig daran hindert, den Kuchen zu vergrößern und deshalb keine günstige Voraussetzung für eine nachhaltige Lösung von Konflikten darstellt. Zudem führt das distributive
Mindset von Verhandelnden mutmaßlich dazu, dass Konflikte häufig eskalieren und zu gewaltsamen Handlungen führen.
Während es sich annehmen lässt, dass Verhandelnde mit einem distributiven
Mindset somit häufig weniger effektiv sind, hat diese psychologische Orientierung für Menschen noch einen zweiten Nachteil. Dieser liegt darin, dass sie Verhandlungen vermutlich seltener beginnen als dies für sie vorteilhaft wäre. Das heißt, dass für beide Parteien nützliche Einigungen auch deswegen nicht zu Stande kommen, da sie sich erst gar nicht gemeinsam an einen Tisch setzen. Einer der Gründe dafür mag sein ist, dass sie fürchten, in Verhandlungen schmerzhafte
Zugeständnisse machen zu müssen. Ein anderer, dass sie sich sorgen, als schwach und unterlegen wahrgenommen zu werden.
Wertkonflikte: häufig heißer als Interessenkonflikte
Konflikte lassen sich generell in
Interessen- und Wertkonflikte unterteilen (Harinck & Druckman, 2017; Harinck & Ellemers, 2014; Harinck & Van Kleef, 2012; Harinck, De Dreu & Van Vianen, 2000). In Konflikten um
Interessen geht es dabei um die Verteilung knapper Ressourcen, wie etwa Land, Geld oder Einfluss. Konflikte um Werte hingegen drehen sich um soziale und religiöse
Normen, Glaubenssätze, Ideale oder Gerechtigkeitsvorstellungen. Gemäß Harinck und Kollegen neigen Menschen dazu, sich in Wertkonflikte tiefer hineingezogen und bedrohter zu fühlen, als dies in Interessenkonflikten der Fall ist. Dies liegt daran, dass Menschen andere, die ihre Werte nicht teilen, tendenziell so wahrnehmen, als würden sie einen wesentlichen Bestandteil von ihnen abwerten. Teilweise mag es ihnen dabei so vorkommen, als würden andere sie als "schlechte Menschen" sehen. Dies kann - auch wenn man von seinen Werten überzeugt ist - eine sehr schmerzvolle Erfahrung sein. Während es uns in Interessenkonflikten teilweise so erscheinen mag, als stellten unsere Gegenüber eine Gefahr für unsere Ressourcen dar (etwa Geld), kann es uns in Wertkonflikten so erscheinen, als wären andere eine Gefahr für unsere Identität. In diesen Fällen kommt es uns häufig so vor, als würde unser Kern angegriffen: wer wir sind, für was wir stehen, und warum dies wichtig ist.
Die Unterscheidung zwischen Wert- und Interessenkonflikten scheint für die Friedensforschung etwa deshalb relevant, da es Hinweise gibt, dass sich Menschen in diesen beiden Arten von Konflikten sehr unterschiedlich verhalten. Wie etwa Harinck und Van Kleef (2012) in ihrem Bericht einer Laborstudie beschreiben, wirkte sich die Konfliktart auf die Bereitschaft von
Probanden aus, ihren Verhandlungspartnern
Zugeständnisse zu machen. Wie die beiden Forschenden beschreiben, neigten die Teilnehmer in Interessenkonflikten dazu, auf von ihren Gegenübern gezeigten
Ärger mit Zugeständnissen zu reagieren. Somit gaben sie etwa beim Preis eines Verhandlungsgegenstands nach, wenn ihr Gegenüber sich ärgerte. In Wertkonflikten tendierten die Teilnehmer hingegen dazu, ihnen gegenübergebrachten
Ärger als unfair zu empfinden und reagierten häufig mit Vergeltung und Eskalation darauf. Anstatt mehr
Zugeständnisse zu machen, machten sie weniger. Einen weiteren Hinweis auf die mögliche Bedeutung der Konfliktart für die Friedensforschung liefern Stöckli und Tanner (2014). Sie beschreiben, dass Versuchspersonen mit bloßen Kompromissen, die den Kuchen nicht vergrößern, in Wertkonflikten zufriedener waren als in Interessenkonflikten. Über die Gründe können die Autoren selber nur spekulieren. Sie vermuten, Menschen könnten es als verletzend für ihre Identität oder gar als unethisch empfinden, geschickte und abgewogenen
Zugeständnisse zu machen, wenn es um ihre Werte geht.
Lösungsperspektiven
Den besonderen Herausforderungen, die sich in Konflikten aus distributiven Mindsets und betroffenen Wertebenen ergeben, steht die Friedenspsychologie nicht machtlos gegenüber. Auf Basis der Erkenntnisse der bisherigen Forschung zu Wertkonflikten geben Harinck und Ellemers (2014) bereits drei Tips für Verhandelnde. Diese lauten:
Ärger. Denn dadurch könnte der Konflikt (wie weiter oben diskutiert) eskalieren.
wenn dies in Wertkonflikten besonders schwer fallen mag, lassen sie sich dadurch häufig deeskalieren.
Im Vergleich zu diesen einfachen Tipps ist es weit aufwendiger, an seinem
Verhandlungs-Mindset zu arbeiten. Dennoch mag sich die Investition lohnen. Ade und Kollegen (2018) skizzieren erste Ideen für ein Trainingsprogramm, welches das Ziel hat, distributive in integrative Mindsets umzuwandeln. Falls sich die Erkenntnisse der Mindsetforschung weiter bestätigen, wäre eine Ausrichtung von Verhandlungstrainings auf die Stärkung eines integrativen Mindsets ein interessanter Ansatz für eine nachhaltigere Lösung von Konflikten. Wie die Autoren beschreiben, sehen Personen mit einem integrativen
Mindset Verhandlungen als Chancen an, den Kuchen zu vergrößern und die
Beziehung zwischen den Parteien konstruktiv weiter zu entwickeln. Das integrative
Mindset zeichnet sich hierbei vor allem durch drei Neigungen aus: eine kollaborative, eine neugierige und eine kreative. Die kollaborative Neigung bringt sie dazu, auch auf schwierige Verhandlungsparteien so zuzugehen, als seien es Partner in einer gemeinsamen Suche nach wertschaffenden Lösungen. Sie sehen diese Partner somit als fähig an, zu dieser Suche etwas Wichtiges beizutragen. Die Neigung zu Neugier bringt Verhandelnde dazu, möglichst viel über die
Interessen, Sichtweisen und Ideen der anderen Parteien zu erfahren und zu analysieren. Neugierige Verhandelnde stellen somit viele Fragen, und hören aufmerksam zu. Zudem achten sie nicht nur auf verbale Signale ihrer Gegenüber, sondern nehmen auch über Körpersprache, Mimiko oder Stimmlage vermittelte Informationen auf. Die kreative Neigung bringt Verhandelnde dazu, auf Basis ihrer durch Neugier gewonnenen Einsichten gemeinsam mit ihren Gegenübern eine Vielzahl an Einigungsoptionen zu schaffen. Hierbei ziehen sie auch unkonventionelle Ideen in Betracht und entwickeln diese spielerisch weiter, bevor sie sich schließlich gemeinsam für eine Option entscheiden.
Literaturverzeichnis
Ade, V., Schuster, C., Harinck, F., & Trötschel, R. (2018).
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Dweck, C. S. (2006).
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Harinck, F., & Druckman, D. (2017). Do negotiation interventions matter? Resolving conflicting interests and values. Journal of Conflict Resolution, 61, 29-55.
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Okonofua, J. A., Paunesku, D., & Walton, G. M. (2016). Brief
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Paunesku, D., Walton, G. M., Romero, C., Smith, E. N., & Yeager, D. S. (2015). Mind-set interventions are a scalable treatment for academic underachievement. Psychological Science, 26, 784–793.
Stöckli, P. L., & Tanner, C. (2014). Are integrative or distributive outcomes more satisfactory? The effects of interest-based versus value-based issues on negotiator satisfaction. European Journal of Social Psychology, 44, 202-208.
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Trötschel, R., Hüffmeier, J., Loschelder, D. D., Schwartz, K., & Gollwitzer, P. M. (2011). Perspective taking as a means to overcome motivational barriers in negotiations: When putting oneself into the opponent's shoes helps to walk toward agreements. Journal of Personality and Social Psychology 101, 771-790.
Ury, W. L., Brett, J. M., & Goldberg, S. B. (1988). Getting disputes resolved: Designing systems to cut the costs of conflict. San Francisco, CA, US: Jossey-Bass.
Warsitzka, M., Ade, V. und Trötschel, R. (2018). Einigung ohne Einbußen:
Kompromiss-los! In-Mind. Retrieved from in-mind.org
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